Magisches Würfelchen am Straßenrand

Die Emmaus-Kapelle zählt zu den bekanntesten christlichen Bauten. Sie steht direkt an der Autobahn A 81 auf der Höhe von Engen.

Fünf Jahre sind kein Jubiläum und im Rahmen der geduldigen Kirchengeschichte wie eine Sekunde. Für die Männer und Frauen, die hinter und vor der Autobahn-Kapelle bei Engen stehen, sind fünf Jahre aber viel. Die kurze Zeitspanne steht für eine Erfolgsgeschichte, die sich ganz anders entfaltete als vor fünf Jahren gedacht.

Der Grundgedanke: Pfarrer beider Konfessionen sowie Laien wollten der neuen Raststätte Hegau West auch einen inneren Ruhepunkt beigeben. Das ist offenbar gelungen. Regelmäßig schauen Besucher vorbei und verweilen. Manche länger, manche kürzer. Der nahegelegene riesige Parkplatz erleichtert das. Vor kein anderes Gotteshaus in Baden kann man so bequem vorfahren. Eine Kapelle mit dem Parkdeck einer Kathedrale. Gratis, aber nie umsonst.

An die eigenwillige Modernität des Baus haben sich die meisten inzwischen gewöhnt. Kein Schnörkel, sondern ein Würfel mit Sichtschlitzen. Nur ein großes Betonkreuz zeigt an, dass man sich einem religiösen Raum nähert. Der befremdliche Eindruck löst sich spätestens im Inneren in Wohlgefallen auf. Dort macht sich eine ungeahnte Ruhe breit. Der Raum ist zurückhaltend möbliert. Ein Tisch, ein modernes Gemälde und der Kerzenhalter.

Dieser ist besonders wichtig. „Da gibt es Monate, da werden 2000 Kerzen angezündet“, berichtet Bernhard Albrecht, der als Verwalter und Mesner viel Arbeit leistet. Mit dem Erlös aus der Kerzenspende wird der Unterhalt finanziert. Die Emmaus-Kapelle erhält keine Kirchensteuer, sondern speist sich aus Spenden und den Einnahmen des Trägervereins, dessen Vorsitzender der katholische Pfarrer Matthias Zimmermann ist. Dieses Konstrukt macht die Kapelle unabhängig, im Prinzip arbeitet sie wie eine US-Freikirche.

„Wir arbeiten hier an einer pragmatischen Basis-Ökumene“, berichtet Hans-Rudolf Bek. Der pensionierte evangelische Pfarrer gehört zu den Geistlichen beider Konfessionen, die sich regelmäßig um den heiligen Würfel kümmern. Inzwischen wird bald jeden Sonntag ein Gottesdienst in der Kapelle gehalten, der auch sehr gut angenommen wird. Das ließ man sich vor fünf Jahren nicht einmal träumen – man dachte an eine Kapelle, nicht an eine Gemeinde. Nun hat es sich so entwickelt, nicht zuletzt durch die Anhänglichkeit der Besucher.

Ökumenisch heißt, dass hier Gläubige aller Konfessionen willkommen sind. Und es bedeutet, dass die Kirche nicht eindeutig als katholisch oder evangelisch zu erkennen ist. Sie ist so schlicht gestaltet und minimal ausgestattet, dass sie auf Besucher der meisten christlichen Gruppen einladend wirkt. Neuerdings wird sie sogar als Hochzeitskirche angefragt und vergeben. Das heißt: Der schroff wirkende Quader vor der Kette der Hegauberge ist inzwischen angekommen. So wird aus einem Würfel eine runde Sache. (uli)

Südkurier, 24.07.2010