Südkurier: Autobahnkapelle im Hegau: Runter vom Gas, rein in die Kirche

jubilaeum2015Der ökumenische Bau im Hegau wird zehn Jahre alt. Er wird häufig besucht.

23 der rot eingebundenen großen Bücher sind voll geschrieben. Das 24. Buch liegt bereits aus. Wer es durchblättert, findet persönliche Notizen, Stoßgebete oder Bitten für etwas. Jemand schreibt: „Ich hoffe, dass meine Frau zurückkommt“. Wenn dieses 24. Fürbittbuch einmal gefüllt sein wird, wird gleich wieder ein neues ausgelegt. Es ist eine laufende Chronik der menschlichen Leiden und Leidenschaften, die hier von den vielen Händen jener Besucher geschaffen wird, die die Autobahnkapelle an der Raststätte Hegau finden. Manche sind nur einmal hier und befinden sich eine Stunde später bereits in der Schweiz. Andere stellen ihr Auto regelmäßig an dem riesigen Parkplatz ab und suchen die nahe Kapelle auf – und sie schreiben in einen der vielen Fürbittbände ein.

Den Zuspruch dafür nimmt Matthias Zimmermann als ein Indiz, dass die Kapelle in Quadrat-Ästhetik gut angenommen wird. Er ist katholischer Dekan mit Sitz in der nahen Stadt und zugleich 1. Vorsitzender des ökumenischen Trägervereins. Dieser ist Eigentümer und Träger des Bauwerks, das sich auf diese Weise frei finanziert.

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Pfarrer Matthias Zimmermann freut sich über den Zuspruch in der Kapelle. Vor allem das Fürbittbuch wird genutzt. Bild: Südkurier

Der Schuhkarton hat es in sich

„Als die Autobahnkapelle vor zehn Jahren gebaut wurde, wollten die Kirchengemeinden nicht noch eine Kirche haben“, sagt Zimmermann. So wählte man die neutrale Vereins-Lösung unter ökumenischem Vorzeichen. „Jeder Christ soll sich hier wohl fühlen“, bemerkt der Dekan. Das Gebäude ist als offener Bau gedacht und nur sparsam möbliert. Einfache Stühle, ein Tisch als Altar, ein modernes dreiteiliges Gemälde, das den Gang der Jünger nach Emmaus thematisiert. Die Außenhaut ist ohnehin auf maximalen Minimalismus genäht. Sie erinnert in ihrer Gliederung an einen Schuhkarton. Einzige Antiquität ist eine gotische Pietà – eine Leihgabe des Erzbistums Freiburg. Die hölzerne Figur zeigt Maria mit ihrem toten Sohn Jesus auf dem Schoß. Zunächst irritiert die Plastik unter dem Glassturz. Dann erkennt man, dass dieses Leidensbild etwas mit Fahren und Gefahr zu tun hat. Wie viele Menschen haben auf Schnellstraßen ihr Leben gelassen? Auch diese Frage steckt in dem farbig gefassten Bildnis.An Mobilität erinnert auch der Name Emmaus-Kapelle. Er spielt auf die Erzählung im Lukas-Evangelium an, in der Jesus zwei Jüngern auf dem Weg in das Dorf Emmaus erscheint. Sie legen ein schönes Stück Weg zurück, bis sie Jesus schließlich erkennen.Erst am Wochenende würdigten beide Konfessionen das kleine Juwel an der Autobahn mit einer Feier. Inzwischen hat sich ein Helferkreis etabliert, in dem die ganze Region vertreten ist. Angefangen vom gestifteten Grundstück über das Gießen der Blumen und das Betreuen der Homepage: Das alles will ja gemacht sein.Einer der Pioniere dieser Kapelle fehlt mittlerweile: Stephan Ocker, der lange als Regionaldekan in Singen residierte und das Projekt von Anfang an begleitet hat. Der bis heute unvergessene Seelsorger wurde 2011 nach Freiburg befördert und starb Anfang 2013 völlig überraschend. In seinem Vermächtnis hat er auch an die Emmaus-Kapelle gedacht: Aus den Geldmitteln wurde ein digitales Piano erworben, das in Zukunft in der Kapelle benützt werden soll. Auf diese Weise musiziert Domkapitular Ocker weiter.

Vor einem Jahrzehnt wurde die Autobahnkapelle an der Raststätte Hegau eingeweiht. Die Bilanz ist gut. Die bewusst spröde gehaltene Architektur wird von den Reisenden angenommen. Bild: dpa / Uli Fricker
Vor einem Jahrzehnt wurde die Autobahnkapelle an der Raststätte Hegau eingeweiht. Die Bilanz ist gut. Die bewusst spröde gehaltene Architektur wird von den Reisenden angenommen. Bild: dpa / Uli Fricker