14.08.2000 Kirche mit offenen Augen


Abseits vom Strandrummel verbirgt sich in Siófok ein besonderes Baukunstwerk. An der Hauptstraße, doch etwas versteckt, liegt eine besondere Kirche. Ein lebendiges Gebäude, das den Betrachter aus großen Eulenaugen ansieht, die mit ihren Engelsschwingen rechts und links den Eindruck noch verstärken, man hätte ein merkwürdiges Geschöpf vor sich. Die Siófoker Evangelische Kirche von Architekt Imre Makovecz hat gerade ihren zehnten Geburtstag gefeiert. Es ist noch immer eines der originellsten Gebäude der Zentralfigur der ungarischen Organischen Architektur.

Das Gebäude entspricht so gar nicht den gängigen Bautypen. Das Dach der Kirche ist fast bis zum Boden heruntergezogen, es ist trotz seiner Rundungen mit roten Ziegeln bedeckt. Was Makovez für seine anderen Bauten (vor allem in der etwa gleichzeitig entstandenen katholischen Kirche in Paks) erdacht hat, ist in Ansätzen auch in der Siófoker Kirche zu finden. Gefiederte Flügel um den Eingang, die das Gebäude in den Himmel zu heben scheinen, ein umgestülpter Schiffsrumpf als Halle, funktionslose dicke Holzstämme im Innenraum und ein offenes hölzernes Dachgebälk, das ein Gefühl der Geborgenheit vermittelt. Von außen wirkt es wie ein fremdes Fabelwesen mit offenen Augen und großem Mund, in seinem Inneren ist ein einladender Andachtsraum. In dem eher dunklen „Schiff“ vermitteln die Holzeinbauten von Gábor Mezei einen Eindruck von Wärme. Symbolisch erhebt sich hier die Figur des auferstandenen Christus von László Péterfy, die auf einem pyramidenartig aufgestockten Aufbau über dem Altar schwebt.

Márton Józsa, der damalige Pfarrer der Siófoker Gemeinde, hatte vor mehr als zehn Jahren den damals schon berühmten Architekten einfach angesprochen und für einen Kirchbau begeistern können, der die wechselnden Besucher in der kleinen Balatongemeinde besonders ansprechen sollte. Das vorrangigste Problem, nämlich Baustoff für die extravaganten Pläne des Meisters zu organisieren, konnte über Sachspenden von Partnergemeinden in Finnland gelöst werden. Die dort reichlich vorhandenen Waldbestände haben diesen Bau mit seiner raffinierten Holzkonstruktion möglich gemacht.

Mit seinem „Boot Christi“ schuf Makovecz eine weltweit unzählige Male abgebildete Kirche, aber auch einen Gemeindetreffpunkt, der zudem für Konzerte genutzt wird. In seine Pläne hatte der Architekt die Ideen der Menschen, die später mit dem Gebäude leben sollten, in den Schöpfungsprozess mit einbezogen, wie es seiner Architekturauffassung entspricht. Auch in die Umsetzung waren die Siófoker direkt mit einbezogen. Wollten sie ihre eigenwillig organisch geformte Kirche haben, dann mussten sie selbst Hand anlegen am Bau. Dabei wurden sie auch von Freunden aus Deutschland unterstützt.

Wegen der vielen deutschen Besucher werden im Sommer sonntags Gottesdienste auch auf deutsch gehalten. 1993 konnte die Gemeinde noch das Pfarrhaus und ein Haus mit Gemeinderaum und Gästezimmer nach Makovecz‘ Plänen fertigstellen und hat damit ein einzigartiges, viel bewundertes Ensemble der ungarischen Architektur erhalten.

Daniela Tiggemann

Lutheranische Kirche 
Siófok, Ungarn