Konradsblatt: Glauben tanken

2015-08-1 Konradsblatt

Kirche und Mobilität – auf kaum einem Gebiet von Gottesdienst und Pastoral stoßen Christentum und moderne Lebensverhältnisse so unvermittelt aufeinander wie bei den Hauptadern des modernen Massenverkehrs auf den Autobahnen, bei den zahlreichen Autobahnkirchen. In Deutschland gibt es über 40 Autobahnkirchen. Und ihre Anzahl wächst stetig. Aber nicht jede Kirche an einer Autobahn darf sich auch Autobahnkirche nennen.

„Die Autobahn ist Deutschlands größte Psychiatrie“, soll der Schauspieler Heunillg Venske einmal gesagt haben. Auch die Kirchen halten viel von der Möglichkeit, Tankstellen des Glaubens zu schaffen. 1958 wurde die erste Autobalmkirche eingeweiht. Mittlerweile gibt es über 40 in ganz Deutschland. In den letzten Wochen kam weiterer Zuwachs hinzu (in der nebenstehenden Karte sind sie noch nicht enthalten): Bei Gramschatz, in der Nähe von Würzburg, wurde die 44. Autobahnkirche eröffnet.

Die katholischen Kirchen sind in der Minderheit

Das 43. Mitglied der Familie steht an der A 71 an der bayerisch-thüringischen Landesgrenze, am Rastplatz Thüringer Tor, und wurde vor wenigen Wochen eingeweiht. Das Gotteshaus soll auch ein Zeichen des Dankes für die friedliche Wiedergewinnung der deutschen Einheit sein. Etwa zehn Jahre wurde an der Kirche gebaut und rund 235 000 Euro hat sie gekostet. Das Besondere: Der Bau wurde ausschließlich aus Spendengeldern finanziert.

Die Sonne scheint in Grabfeld (Thüringen) in die Autobahnkirche an der Autobahn A71 am Rastplatz Thüringer Tor. Nach mehreren Jahren Bauzeit wurde vor wenigen Wochen diese Kirche eingeweiht.
Die Sonne scheint in Grabfeld (Thüringen) in die Autobahnkirche an der Autobahn A71 am Rastplatz Thüringer Tor. Nach mehreren Jahren Bauzeit wurde vor wenigen Wochen diese Kirche eingeweiht.

Diese Spendenbereitschaft zeige, „dass der Wunsch nach Rastplätzen für Leib und Seele groß ist“, sagt Birgit Krause, Mitarbeiterin an der Akademie der Versicherer im Raum der Kirchen (VRK) und zuständig für die Autobahnkirchen. Meist komme der Impuls für solch einen Kirchenbau aus den Pfarrgemeinden, sagt sie. Aber auch Privatleute können Initiatoren sein.

So stiftete der Augsburger Papierfabrikant Georg Haindl die erste Autobahnkirche. Sie steht an der AB zwischen München und Stuttgart, im bayrischen Adelsried. Mit der Idee wollte er die Tradition der mittelalterlichen Wegekreuze in die Gegenwart transportieren. 1958 wurde das Gotteshaus mit dem Namen „Maria, Schutz der Reisenden“ eröffnet und gab den Anstoß für weitere Autobahnkirchen in Deutschland.

Von den bislang 43 erbauten Kirchen sind 19 evangelisch, 16 ökumenisch und acht katholisch getragen. „Die katholischen Kirchen sind deutlich in der Minderheit“, stellt Krause fest, „die stehen aber auch fast alle in Bayern.“

Gegenüber der Kirche eher kritisch

Im Erzbistum Freiburg gibt es zwei Autobahnkirchen: An der A5 bei Baden-Baden und im Hegau, an der A81 bei Engen. 1978 wurde St. Christophorus bei Baden-Baden eröffnet und soll im Schnitt von 300 000 Besuchern pro Jahr besucht werden. Und die kommen nicht nur wegen der Gottesdienste. Die Kirche hebt sich vor allem durch ihre Architektur ab: Sie hat die Form einer Pyramide und wird durch die mit reichlichen Symbolen aufgeladene Außenanlage ergänzt. Seit zwei Jahren rufen außerdem Glocken zum Gebet. Und die werden vom dem Glockenträger gehalten der bereits bei der Papstmesse in Freiburg im Einsatz war.

Die ökumenische Hegauer Emmauskappelle steht seit zehn Jahren an der A81. Schon von Weitem ist das hohe Kreuz am Eingang zu erkennen. Und wer den Weg zur Kapelle geht, der findet vor allem eines: Ruhe. Denn eine Mauer schirmt die würfelförmige Kirche von ihrer Umgebung und vom Straßenlärm ab.

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Die Autobahnkirche Siegerland an der A45 bei Wilnsdorf wurde 2013 eingeweiht. Sie stammt von dem Architekten Michael Schumacher. (Fotos: KNA-Bild, Pa)

Aber nicht jede Kirche, die direkt an einer Autobahn liegt, darf sich auch Autobahnkirche nennen. Dafür gibt es klare Kriterien: Sie muss eine direkte Anbindung an eine Autobahnraststätte oder eine -abfahrt haben, die Zustimmung des Bundesverkehrsministeriums muss vorliegen, die Entfernung zwischen zwei Autobahnkirchen sollte mindestens 80 Kilometer betragen und die Autobahnmeisterei muss Schilder aufstellen.

Außerdem muss eine Autobahnkirche mindestens von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends ihre Tore offenhalten. „Manche haben auch rund um die Uhr offen“, sagt Krause. Denn sie sind ja nicht nur zum Gottesdienstfeiern da. Und auch zur Raumgröße gibt es Vorschriften: Der Innenraum der Kirche sollte so groß sein, dass auch einer Busreisegruppe der gemeinsame Besuch möglich ist, heißt es in den Kriterien.

Wie die Vorschriften für dieAutobahnkirchen, so sind auch die Gotteshäuser ein deutsches Phänomen: In der Schweiz und in Tschechien gibt es jeweils nur eine und in Österreich lediglich zwei Autobahnkirchen. Zur Zahl der Besucher gibt es nur Schätzungen. So steht am Eingang der katholischen Autobahnkirche St. Christophorus Himmelkron an der A9 eine Lichtschranke, um Besucher zu zählen. Etwa 100 000 Menschen sollen demnach das Gotteshaus im nordbayrischen Bad Berneck jährlich besuchen.

Bundeswett sollen im Jahr sogar rund eine Millionen Menschen in die Autobahnkirchen strömen. Laut der Studie „Spurwechsel: Gott auf der Autobahn“ ist der durchschnittliche Autobahnkirchenbesucher männlich, katholisch, verbeiratet und hat Kinder. Das Ungewöhnliche: 40 Prozent stehen der Kirche eher distanziert gegenüber. Der typische Besucher sei also ein „Autobahnkirchensponti“, dessen Besuch „eine ungeplante Kurzweilinsel zum religiösen Auftanken“ darstellt, so die Statistiker.

Gelassener, rücksichtsvoller und sicherer fahren

Krause betont, dass neben spontanen Besuchern vor allem Pendler in den Autobahnkirchen anzutreffen sind. „Die nehmen das Angebot wahr, um für ein paar Minuten zu entspannen.“ Neben der Möglichkeit zur Ruhe zu kommen, werben die Kirchen außerdem mit ihrem Beitrag zur Verkehrssicherheit. Denn wer in Autobahnkirchen Rast gemacht hat, der fährt laut VRK danach gelassener, rücksichtsvoller und sicherer.

Samuel Dekempe, Konradsblatt